Veranstaltung: | Bundesdelegiertenkonferenz-Vorbereitung BAG Frieden und Internationales |
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Antragsteller*in: | Thomas Mohr |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 31.08.2019, 00:12 |
A4: grün und gewaltfrei
Antragstext
Die Friedensbewegung bildet einen wesentlichen Wurzelgrund der grünen
Parteigründung. Maß-gebliche Gründungsgestalten der Grünen wie Petra Kelly und
Roland Vogt waren engagierte und überzeugende Vertreter/innen eines aktiven
Pazifismus. Als einer von vier Grundwerten prägte Gewaltfreiheit folglich die
Anfänge der grünen Partei. Später brachte Bündnis 90 die Erfahrungen des
gewaltfreien Umbruchs in der DDR in die neue gemeinsame Partei ein.
*
Auch im aktuellen Grundsatzprogramm von 2002 – beschlossen nach den
Entscheidungen der rot-grünen Bundesregierung für die Kriegseinsätze in
Serbien/Kosovo und in Afghanistan – zählt Gewaltfreiheit zu den sechs
Grundsätzen von Bündnis 90/ Die Grünen: „Bündnisgrüne Politik ist Politik für
Gewaltfreiheit. (…) Unsere Politik ist darauf gerichtet, international die
Geltung des Rechts zu fördern, Konfliktprävention voranzustellen und die
Anwendung von Gewalt immer weiter zurückzudrängen. Gewalt darf Politik nicht
ersetzen. Das allgemeine Gewaltverbot, das in der Charta der Vereinten Nationen
festgeschrieben wurde, stellt eine große zivilisatorische Errungenschaft und
einen bedeutenden völkerrechtlichen Fortschritt dar. Damit wurde ein wichtiger
Schritt getan, um dem Krieg seine Selbstverständlichkeit als Mittel der Politik
zu entziehen. (…) Unser Ziel ist, in allen gesellschaftlichen und
zwischenstaatlichen Bereichen gewaltfreie Konfliktlösungen zu fördern, um die
politische Institution des Krieges zu überwinden. Dazu setzen wir uns in allen
Politikfeldern für die Stärkung einer Kultur der Gewaltfreiheit und der
Prävention ein.“ (S.14 – 15)
*
Wie wollen Bündnis 90 / Die Grünen heute mit diesen pazifistischen Traditionen
ihrer Partei umgehen? Welche Rolle soll Gewaltfreiheit im neuen
Grundsatzprogramm spielen?
*
Im Zwischenbericht des Bundesvorstands vom 29./30. März 2019 zum
Grundsatzprogramm wird inzwischen „Frieden“ als einer von fünf „Werte(n), die
uns einen“ und „unsere Politik tragen“, aufgeführt. „Gewaltfreiheit“ bzw.
„gewaltfrei“ wird zwar viermal erwähnt, aber weder als Grundwert bezeichnet noch
vertiefend behandelt.
*
Wir fordern:
Gewaltfreiheit soll ausführlich behandelt und so wie in den obigen Sätzen aus
dem Programm von 2002 definiert werden. Die hier zitierten Sätze zur Definition
der Gewaltfreiheit sollen in das neue Grundsatzprogramm genauso wieder
übernommen werden.
Dies kann im Rahmen von zwei Optionen erfolgen:
Option 1: Gewaltfreiheit wird weiterhin als einer der grünen Grundwerte
aufgeführt.
Option 2: Gewaltfreiheit wird als eine der Dimensionen des Grundwerts „Frieden“
in einem oder mehreren eigenen Absätzen ausführlich erläutert.
Für beide Optionen gilt:
Das Eintreten für Gewaltfreiheit soll sich – stärker als dies im
Grundsatzprogramm von 2002 ausbuchstabiert wurde – als Querschnittsthema durch
verschiedenste Kapitel des Programms ziehen.
*
Gewaltfreiheit als Querschnittsthema soll folgende Aspekte umfassen:
… in den Bereichen „Gleichberechtigung“ und „Familie“:
- Gewaltfreiheit zwischen Männern und Frauen
… in den Bereichen „Bildung“ und „Forschung“:
- Streitschlichterprogramme und Ausbildung von Konfliktlotsen
- Einsatz für Bildungsinhalte wie Mediation und gewaltfreie Kommunikation
- Verpflichtung der Hochschulen auf friedliche, zivile Forschung und Lehre
(Zivilklausel)
- Ausbau und Förderung der Friedens- und Konfliktforschung
… in den Bereichen „Handel“, „Wirtschaft“, „Zusammenhalt“:
- Abbau der eklatanten wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen Arm und Reich
auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene
- Gerechte Außenbeziehungen Deutschlands
- Nachhaltige Entwicklung der EU-Anrainerstaaten
- Schritte zu einer geregelten wirtschaftlichen Kooperation zwischen der EU
und Russland
… in den Bereichen „Frieden“ und „Internationales“:
- Stärkung der Institutionen echter gemeinsamer Sicherheit wie UNO und OSZE
- Verzicht auf eine deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen,
die nicht vom UN-Sicherheitsrat (oder wenigstens der UN-
Generalversammlung) mandatiert sind
- Übernahme eines großen Teils der wirklich friedenserhaltenden UN-Einsätze
durch Polizeikräfte und/oder zivile Expert/innen
- Orientierung am Leitbild „Sicherheit miteinander“ und an der
Friedenslogik. Sowohl NATO als auch EU sind keine echten (inklusiven)
Organisationen gemeinsamer Sicherheit, sondern tendieren in ihren
Außenbeziehungen dazu, „Sicherheit gegen andere“, insbesondere gegen
Russland, schaffen zu wollen. Es ist deshalb sehr problematisch, UNO und
EU in einem Atemzug zu nennen. Wir fordern: „UNO und OSZE first!“
- Neustart des sicherheitspolitischen Dialogs mit Russland
- Stärkung der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung
- Ausbau von Pools ziviler Expert/innen für Auslandseinsätze
- Ausbau des Zivilen Friedensdienstes
- Deutschland als Mitglied beim Europäischen Friedensinstitut
- Wiederbelebung von Abrüstungsverhandlungen auf OSZE-Ebene
- Einsatz für einen erneuerten IWF-Vertrag
- Abzug der US-Atomraketen aus Büchel
- Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag
- Evaluierung der bisherigen Auslandseinsätze der Bundeswehr
- Militär- und Rüstungsausgaben: Ablehnung des 2-Prozent-Ziels der NATO –
eine neue Aufrüstungsspirale muss verhindert werden!
Selbstverständlich gibt es noch weitere wichtige Aspekte einer gewaltfreien
Politik. Die hier vorgenommene Aufzählung ist lediglich beispielhaft.
*
Grundlegend ist, dass Gewaltfreiheit weiterhin – so wie im Grundsatzprogramm von
2002 – definiert wird durch:
- den Einsatz für die „Stärkung einer Kultur der Gewaltfreiheit“ und
- das mittel- und langfristige Ziel der „Überwindung der politischen
Institution des Krieges“, angelehnt an die entsprechende Formulierung des
Friedensforschers und Physikers C.F. v. Weizsäcker.
*
Dass sich die von den Grünen mitgetragenen Kriegseinsätze – v.a. Serbien,
Afghanistan – schwer mit einem Eintreten für Gewaltfreiheit verbinden lassen,
ist ein Schatten auf der grünen Parteigeschichte. Besonders der ohne UN-Mandat
durchgeführte Kosovo-Krieg hat sich als Türöffner für die Entwertung des UN-
Systems herausgestellt. Deshalb müssen die Grünen klar stellen, dass sie in
Zukunft einen militärischen Einsatz ohne UN-Mandat (Sicherheitsrat oder
wenigsten Generalversammlung) nicht mehr befürworten und unterstützen werden.
Ein weiterer Schritt der Entwertung des UN-Systems bestand darin, dass die
Sicherheitsratsresolution zur Schutzverantwortung in Libyen von Seiten
westlicher Staaten weit über das UN-Mandat hinaus im Sinne eines Regimechange
ausgelegt wurde. Gerade aufgrund dieser Erfahrungen hat sich die
Schutzverantwortung (R2P) bisher als völkerrechtliche Norm nicht wirklich
etablieren können. Manche meinen sogar, dass das Konzept der Schutzverantwortung
auf UN-Ebene bereits so diskreditiert ist, dass es keine Zukunft mehr hat.
Darüber hinaus betont der Beschluss des grünen Parteitags 2012 zur
Schutzverantwortung, dass eine glaubwürdige Schutzverantwortung weit mehr
bedeutet als eine Billigung von Militäreinsätzen. Es geht vielmehr um ein
breitgefächertes präventives Handeln, das sich weitgehend mit der Förderung von
und dem Eintreten für Gewaltfreiheit – so wie oben definiert – deckt. Von Seiten
der Friedensbewegung wird dies beispielhaft im Manifest „Schutz der
Menschenrechte durch Prävention“ der Internationalen Münchner Friedenskonferenz
dargestellt.[1]
*
Es ist notwendig und sinnvoll, dass die Grünen auch in Zukunft über das
Spannungsverhältnis von Gewaltfreiheit, Menschenrechten, Verrechtlichung der
internationalen Politik, Kriegsverbot in der UN-Charta, staatlicher Souveränität
und Schutzverantwortung debattieren. Vor dem Kosovo-Parteitag 1999 war mehrfach
zu hören, dass die grüne Partei eine solche Debatte stellvertretend für die
ganze Gesellschaft führt. Dazu kann es aber nicht hilfreich sein, den Begriff
Gewaltfreiheit ganz aus dem Grundsatzprogramm zu entsorgen oder ihn nur noch als
Füllwort zu verwenden.
Wir halten es vielmehr für notwendig, dass die Grünen sich auch im neuen
Grundsatzprogramm für die Stärkung des internationalen Gewaltmonopols der UN
einsetzen und sich zu einem völkerrechtlichen Pazifismus im Sinne von Immanuel
Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ bekennen. Darüber hinaus können und sollten
sie, wie oben an zahlreichen Beispielen aufgezeigt, in verschiedensten Bereichen
eine Kultur der Gewaltfreiheit und entsprechende lokale, nationale und
internationale Strukturen fördern. Dadurch wird von der kommunalen bis zur
globalen Ebene ein gewaltfreier Umgang mit Konflikten zur
Selbstverständlichkeit. So kann mittel- bis langfristig die politische
Institution des Krieges überwunden werden.
*
Das Eintreten für Gewaltfreiheit ist eine langfristige Aufgabe, die von
Generation zu Generation weitergereicht werden muss. In diesem Sinne sollten wir
Grünen die traditionsreiche grüne Gewaltfreiheit nicht beerdigen, sondern uns
auch im neuen Grundsatzprogramm von unserem alten Grundwert „Gewaltfreiheit“
herausfordern lassen!
Dr.phil. Thomas Mohr, Psychologischer Psychotherapeut, Vorsitzender der
Projektgruppe „Münchner Sicherheitskonferenz verändern“ e.V., Mitglied Bündnis
90/ Die Grünen im KV München
[1] www.friedenskonferenz.info/index.php?ID=50
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