Veranstaltung: | Bundesdelegiertenkonferenz-Vorbereitung BAG Frieden und Internationales |
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Antragsteller*in: | Ursula Hertel-Lenz (BAG Frieden & Internationales) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.08.2019, 21:23 |
A2: Für eine Vision von Europa, die alle Europäer*innen einschließt, und für eine Sprache, die dafür den Raum öffnet BDK GSPP
Antragstext
Die Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“(EU) müssen im Grundsatzprogramm
und in zukünftigen Wahlprogrammen je nach Bezugnahme konsequent unterschieden
werden, sie dürfen nicht pauschal gleich gesetzt werden. Dies gilt ebenso für
die Adjektive „europäisch“ und „paneuropäisch“: wenn es um die EU geht, müssen
jeweils differenzierende Formulierungen verwendet werden wie z.B. „EU-Ebene“,
„EU-weit“ oder „im Rahmen der EU“. Der utopische Überschuss und der Identität
stiftende Aspekt des Europa-Begriffs können durch Bezeichnungen wie „EU-Europa“
oder „EU-europäisch“ einbezogen werden. - Nach einem eventuellen Austritt
Großbritanniens aus der EU wäre die Gleichsetzung der Begriffe „Europa“ und
„Europäische Union“ noch weniger angemessen als gegenwärtig schon.
Die Metapher „das europäische Haus“ darf nicht auf die Europäische Union verengt
werden. Dieses sprachliche Bild, von Gorbatschow am Ende des Kalten Krieges
verwendet, um die Überwindung des Gegensatzes von NATO und Warschauer Pakt in
den Blick zu nehmen und um die Idee einer friedlichen Zukunft Europas unter
Einschluss Russlands zu formulieren, sollte auch weiterhin die Vision einer
Überwindung der Konflikte und Spaltungen im gesamten Europa ausdrücken, auch
wenn insbesondere die Gegensätze zu Russland zur Zeit unüberwindlich erscheinen
mögen.
(In Eigennamen kann das Adjektiv „europäisch“ wie üblich verwendet werden: „das
Europäische Parlament“, „die Föderale Europäische Republik“.)
Begründung
Begründung
(In Zusammenhang mit Kritik am Sprachgebrauch im Zwischenbericht, in dem stellenweise die Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“ pauschal gleich gesetzt werden)
1. „Europa“ ist mehr als die Europäische Union mit ihren (noch) 28 Staaten
Der Europarat hat 47 Mitgliedstaaten, Weißrussland ist (wegen der Todesstrafe) seit 1993 nur Beitrittskandidat.
Je nachdem, wie die geografischen Grenzen Europas definiert werden, werden „ca. 50 Länder“ (Wikipedia) zum Kontinent Europa gezählt.
Zu den 20 Nicht-EU-Staaten des Europarats gehören sehr kleine Staaten wie Andorra, Monaco, San Marino und Liechtenstein sowie mittlere Staaten wie Norwegen und die Schweiz. Einige der 20 durch die Gleichsetzung von „Europa“ und „EU“ „übergangenen“ Staaten – wie die oben genannten Länder – haben intensive Beziehungen zur EU, es gibt auch Beitrittskandidaten wie Montenegro und Serbien. Der bedeutendste europäische Nicht-EU-Staat ist Russland.
2. Zum „gefühlten“ Umfeld der Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“: eine pauschale Gleichsetzung ist keine Lösung
„Europa“ erscheint vielfach als ein „guter“ Begriff, mit einem utopischen Überschuss; „Europa“ steht für eine friedliche Zukunft, für die Überwindung von Gräben, Konflikten und Kriegen.
Die Kritik an der Europäischen Union – besonders von rechts – stellt die EU u.a. als „seelenloses“Bürokratiemonster dar. Der Begriff „Europäische Union“ steht in diesem EU-kritischen Kontext für ein angeblich dürres Rechtsgebilde, für „unübersichtliche Verträge“ und Abkommen mit absurden Vorschriften, für eine extrem aufgeblähte Brüsseler Bürokratie.
Es ist aber keine akzeptable Lösung, möglicherweise unter dem Druck dieser Kritik die korrekten Bezeichnungen „Europäische Union“ oder „EU-Ebene“ stellenweise zu vermeiden und durch anscheinend gefälligere – im gegebenen Zusammenhang pauschalisierende - Wörter wie „Europa“ oder „europäisch“ zu ersetzen. Denn durch die fehlende Differenzierung werden Staaten Europas unberechtigt übergangen oder sogar aus Europa ausgegrenzt.
Der utopische Überschuss und der Identität stiftende Aspekt des Europa-Begriffs können durch Bezeichnungen wie „EU-Europa“ oder „EU-europäisch“ einbezogen werden.
3. Die Kritik an der Gleichsetzung der Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“ im Einzelnen
Im Zwischenbericht werden die Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“ (bzw. „EU“) sowie „europäisch“ und „EU-weit“ stellenweise synonym verwendet, besonders im ersten Teil des Kapitels „Grundsätze einer gerechten und friedlichen Weltordnung“ (auf den Seiten 31 – 36).
Beispiel 1: Gleichsetzung Europas mit der EU und (nur) einem Teil der europäischen
Nicht-EU-Staaten
„Nie waren die Menschen in Europa so frei und sicher wie heute.“ (S. 32, Unterstreichungen U.H.)
„Europa“ kann hier nur bedeuten: die EU und Länder wie Norwegen, San Marino oder die Schweiz, aber nicht die Ukraine (> Krim), Weißrussland oder Russland
Beispiel 2: Gleichsetzung Europa – EU
„Außerdem wollen wir die demokratische Mitbestimmung der Bürger*innen in Europa stärken, damit Instrumente wie die Europäische Bürgerinitiative mehr Durchschlagskraft entfalten können.“ (S. 32, Unterstreichung U.H.)
Die Europäische Bürgerinitiative ist bekanntermaßen ein Instrument der EU.
Beispiel 3: Gleichsetzung Europa – EU
Im Abschnitt: „Die Europäische Union muss weltpolitikfähig werden“ heißt es:
„… muss die EU weltpolitikfähig werden. … Dafür muss Europa zu mehr strategischer Souveränität gelangen … Das gilt besonders im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.“ (S. 34, Unterstreichung U.H.)
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht sich nur auf die EU.
4. Keine Gleichsetzung von „europäisch“ und „EU-(weit)“
Stellenweise wird das Adjektiv „europäisch“ auch zur Unterscheidung zwischen der EU-Ebene und der Ebene des Nationalstaats verwendet:
„Militärische Parallelstrukturen und Überkapazitäten werden durch eine Umschichtung nationaler Mittel auf die europäische Ebene abgebaut.“ (S. 35, Unterstreichung U.H.)
„… des gemeinsamen europäischen Hauptquartiers in Brüssel.“ (S. 35, Unterstreichung U.H.)
(Ist der Begriff „Hauptquartier“ absichtlich identisch mit dem Begriff „Nato-Hauptquartier“ in Brüssel?)
Die Verwendung von „europäisch“ im Unterschied zu „nationalstaatlich“ kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass es sich gewissermaßen um (politische) Umgangssprache handeln würde, ähnlich wie in dem Spruch: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“. Denn in einem programmatischen Text muss klar zum Ausdruck kommen, dass nur von einem EU-„Hauptquartier“ die Rede ist und dass die große Aufgabe, durch neue Vertragswerke - etwa im Rahmen der OSZE - tatsächlich alle europäischen Staaten einzubinden, noch gelöst werden muss.
Auch in der Formulierung:
„… braucht es … ein einheitliches europäisches Asylsystem, das die Verantwortung innerhalb der EU … fair verteilt.“ (S. 39), ist tatsächlich ein EU-weites „Asylsystem“ gemeint.
Im Kapitel „Für eine Weltinnenpolitik mit den Vereinten Nationen“ heißt es:
„Mit einer immer stärker werdenden EU verfolgen wir das Ziel einer Weltinnenpolitik im Rahmen der Vereinten Nationen. Ein logischer Schritt wäre ein europäischer Sitz im Sicherheitsrat.“ (S. 42)
Gemeint ist wohl ein gemeinsamer Sitz der EU (was nach jetzigem Stand bedeuten würde, dass GB und Frankreich ihre Sitze abgeben müssten).
Die Formulierung „europäischer Sitz“ blendet aus, dass Russland – ebenfalls Mitglied im Sicherheitsrat – ein europäischer Staat ist. (Dass Russland seinen Sitz zugunsten eines gemeinsamen Sitzes für Europa abgeben würde, steht sicherlich nicht zur Debatte, da dies für die absehbare Zukunft extrem unwahrscheinlich ist.)
5. Keine Verengung von „paneuropäisch“ zu „EU-weit“
Im Unterkapitel „Von der Europäischen Union zur Föderalen Europäischen Republik“ heißt es in einem Absatz:
„… ist es notwendig, eine europäische Öffentlichkeit, einen Kommunikationsraum für alle Europäerinnen und Europäer zu schaffen. … Wir brauchen einen paneuropäischen Diskurs über europäische Themen.“ (S. 32)
Der kurze Absatz endet mit Verweis auf die Europäische Bürgerinitiative, d.h. – wie auch durch die Überschrift nahe gelegt – der Kontext ist verengt auf die EU. „Paneuropäisch“ bedeutet aber laut Duden: „gesamteuropäisch“, auf wortbedeutung.info heißt es: „ das gesamte Europa betreffend“.
6. Die EU ist kein „Kontinent“
„Die EU sollte sehr viel stärker auf militärische Zusammenarbeit und Koordinierung setzen, um als Kontinent [!] stärker europäische strategische Interessen – gerade innerhalb der NATO – vertreten zu können …“ (S. 36, Unterstreichungen U.H.).
Hier wird sogar der geografische Begriff Europas explizit mit dem der EU gleichgesetzt.
7. Die - stellenweise - sprachliche Gleichsetzung der Begriffe „Europa“ und „EU“ bewertet implizit die 20 (demnächst evtl. 21) europäischen Nicht-EU-Staaten als bedeutungslos oder grenzt sie sogar aus
Die - stellenweise - Gleichsetzung von „Europa“ und „EU“ bzw. „europäisch“ und „EU-weit“ in einem Programm ist keine Frage des Stils oder der gefälligen, weil abwechslungsreicheren Formulierungen. Mit einer Gleichsetzung wäre implizit der Anspruch verbunden, dass die EU mit ihren 28 Staaten das eigentliche Europa ist und die restlichen 20 europäischen Staaten weniger oder nichts zählen, ähnlich wie Trump in den Slogans „America First“ und „Make America great again“ den Begriff „America“ für die USA beansprucht. Korrekt müsste es jeweils heißen: „the United States of America“. Die anderen Staaten des amerikanischen Kontinents werden implizit für unbedeutend erklärt.
In den 50ern/ 60ern des vorigen Jahrhunderts sagte man in der Bundesrepublik - oft bewundernd - „in Amerika“ und meinte die USA. Dies zeigte die Bedeutung der USA in der Welt; die anderen Staaten des amerikanischen Kontinents spielten keine Rolle.
Ähnlich wie die Wörter „US-amerikanisch“ und „US-Amerikaner*in“ können die Wörter „EU-europäisch“ und „EU-Europäer*in“ zur Differenzierung beitragen.
8. Kleiner Exkurs: Die unklare Verwendung der geografischen Bezeichnung „osteuropäisch“
Im Kapitel „Neue Bewegung für Abrüstung“ heißt es zu Beginn:
„Eine große Gefahr liegt in einer neuen Aufrüstungsspirale wie zu Zeiten des Kalten Krieges, wieder in Europa. Wir nehmen die Sicherheitsbedenken unserer osteuropäischen Nachbarn ernst.“ (S. 36)
Wer ist das „Wir“ in „unsere“? Wenn „wir Deutschen“ gemeint sind, geht es um die östlichen EU-Staaten Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Estland, Lettland und Litauen. Oder sind auch die östlichen EU-Anrainerstaaten Ukraine und Weißrussland gemeint?
Wenn auch die angesprochene „Aufrüstungsspirale“ keinem Akteur direkt zugeordnet wird, so ist durch den Verweis auf die „Sicherheitsbedenken“ indirekt deutlich, dass Russland nicht zu „unseren osteuropäischen Nachbarn“ gezählt wird. Wozu gehört es dann? Osteuropa endet nicht an der russischen Westgrenze.
9. Keine Verengung der Metapher „das europäische Haus“ auf die EU
Unter der Überschrift: „Von der Europäischen Union zur Föderalen Europäischen Republik“ (S. 31) heißt es:
„… müssen wirdie Fundamente des europäischen Hauses erneuern.“ (S. 32, Unterstreichung U.H.)
Mit dem Begriff „europäische[s] Haus“ ist offenbar die EU gemeint, denn nicht nur in der Überschrift, sondern auch im folgenden Absatz geht es um „eine stetige Vertiefung und Verbesserung der EU“ (S. 32, Hervorhebung im Original).
Die Metapher „das gemeinsame Haus Europa“ wurde von Gorbatschow verwendet und bekannt gemacht, um am Ende des Kalten Krieges die Vision einer friedlichen Zukunft Europas unter Beteiligung Russlands auszudrücken.
Eine Generation später sehen einige den Kalten Krieg zurückkehren, insbesondere seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 und wegen der andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine, in die Russland aktiv involviert ist.
Dennoch – oder gerade deswegen – ist es notwendig, in der Sprache Räume offen zu halten und neu zu öffnen, die eine gemeinsame Zukunft in einem friedlichen Europa für alle Europäer*innen möglich und attraktiv erscheinen lassen.
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